Trouble

Nichts prägte wahrscheinlich während des 20. Jahrhunderts das Bild Irlands in der Welt mehr als die sinnlose Gewalt zwischen den verfeindeten religiösen Gruppen, den Katholiken und den Protestanten im Norden der Insel. Wie leider all zu oft eskalierte ein über die Jahrhunderte hinweg schwellender und sich über die Generationen aufbauschender Konflikt zu unseeligem Terror, unter dem der Großteil der Zivilbevölkerung am meisten zu leiden hatte. Ob das beginnende 21. Jahrhundert wirklich ein endgültiges Ende dieses Bürgerkrieges mitten in der europäischen Völkergemeinschaft bringen kann, muss die Zukunft zeigen...

Die Wurzeln dieses Konflikts reichen bis in das 12. nachchristliche Jahrhundert zurück. Im Jahre 1169 rief einer der 5 großen Fürsten Irlands den englischen König Heinrich II. im Kampf um die Vorherschaft in Irland um Hilfe an. Als Lohn wurde ihm die Nachfolge im eigenen, irischen Fürstentum angeboten.
Heinrich griff in den Kampf ein, erzielte große Landgewinne und verteilte das eroberte und besetzte Land als Lehen an seine normanischen Barone. Die Präsenz der Engländer aus der grünen Insel begann, zahllose englische Siedler liesen sich in den Folgejahren insbesondere rund um Dublin nieder.

Unruhen und Aufstände der irischen Ureinwohner folgen, 1261 kommt es zur Schlacht von Calann bei Kenmare.

Nichtsdestotrotz bekräftigen die Engländer in den Statuten von Kilkenny aus dem Jahr 1366 ihren Vormachtsanspruch und gehen dazu über, den Iren das angelsächsische Rechtssystem und die englische Sprache aufzuzwingen. 1541 legt sich Heinrich VIII. offiziell den Titel König von Irland zu.

Als dann die Hochburg des Widerstands gegen die Besatzer, die nordirische Grafschaft Ulster aufgegeben werden muß und die dortigen Herrscher O'Neill, O'Donnell und Maguire auf den Kontinent fliehen müssen, nutzt England das entstehende Machtvakuum, um im Norden verstärkt protestantische Siedler anzusiedeln.
Ab 1608 kommt es zu großangelegten Umsiedlungen, den sogenannten Plantations, in deren Rahmen vorwiegens schottische Presbyterianer in den Norden der Insel gelangen, die fruchtbaren Gegenden besetzen und die einheimischen Iren in karges Land verdrängen.

Wieder folgen zahlreiche Aufstände, die jedoch alle scheitern: das neue protestantische Bollwerk Ulster ist nicht zu nehmen. Nach der verherrenden Niederlage des Iren James II. gegen den Protestanten Wilhelm II. von Oranien in der Schlach zu Boyne 1690 war der irische Widerstand endgültig bis in das 20. Jahrhundert hinein gebrochen, die Unterwerfung der irischen Bevölkerung unter die protestantisch-englische Oberhoheit besiegelt.

In den kommenden Jahrzehnten wird die irische Bevölkerung weiter unterdrückt und ausgebeutet. Im 18. Jahrhundert werden die Penal Laws erlassen, Katholiken diskriminierende Strafgesetze. Unter diesem Druck verlassen zahlreiche Iren ihre Heimat, es kommt zu einer ersten großen Auswanderungswelle nach Amerika.
Zwar erkennt England unter dem Druck zahlreicher Katholischer Aufstände 1782 ein eigenes irisches Parlament an, aber dies ist mehr eine Scheinmacht, da die Abgeordneten nur aus den Protestantischen Bevölkerungsschichten kommen.

Unter dem Einfluß der französischen Revolution und dem neu aufkeimenden irischen Nationalbewusstsein versucht man erneut einen Umsturz herbeizuführen. Dieser von Frankreich unterstütze Aufstand scheitert aber 1798. 2 Jahre später löst sich das irische Parlament selbst auf, die englische Krone hatte die Parlamentarier dahingehend bestochen.

Im Jahre 1905 wird die Sinn Féin gegründet, eine Gruppe, die sich für politische und wirtschaftliche Autonomie der Iren einsetzt und passiven Widerstand gegen die britischen Behörden befürwortet. 1916 rufen irische Freiwillige und die Bürgerwehr in Dublin die irische Republik aus, der Osteraufstand beginnt. Die Briten schlagen diesen aber schnell und blutig nieder, mehrere Anführer werden hingerichtet.
3 Jahre später startet Irland einen zweiten Versuch: in Dublin gründen irische Unterhausabgeordnete ein eigenens Parlament, die Dáil Éireann, rufen erneut die Unabhängigkeit aus und setzen eine Regierung unter Eamon de Valera ein. Es kommt zum Krieg mit England.

Nach dem blutigen Konflikt in den Jahren 1919 bis 1921 wird Irland schließlich geteilt. Der katholische Süden erhält den Status eines Freistaates, die 6 Grafschaften von Ulster bleiben in Personalunion mit Großbritannien. Die protestantischen Bewohner des Nordens stimmen diesem Status zu, zum einen aus der alten Affinität zum Nachbarn England zum anderen aber auch aus Furcht vor möglichen Verlusten ihrer bisherigen Privilegien.

In der ersten Sitzung des nordirischen Parlaments wird Sir James Craig zum Premierminister Nordirlands gewählt. Er begründet damit eine bis 1972 ungebrochene Folge von unionistischen Regierungen. Sein Hauptziel ist, die Trennung vom Freistaat Irland zu festigen und die Interessen der nordirischen Unionisten zu bewahren. So boykottiert seine Regierung z.B. die Arbeit der Grenzkommision unter der Leitung des südafrikanischen Richters Feetham, die nach dem Vetrag von 1921 die Grenze zwischen dem Norden und dem Süden festlegen soll. Diese Grenzkommision sollte zu keinem Abschluß kommen, am 3. Dezember 1925 wird in einem Abkommen der bestehende Grenzverlauf und damit die Teilung des Landes formell besiegelt.

Die tiefe Kluft zwischen dem Norden und dem Süden verbreitert sich, als Irland 1937 eigenmächtig eine eigene Verfassung proklamiert, die u.a. das gälische als Nationalsprache bestimmt und der katholischen Kirche Sonderrechte einräumt. Ebenso sieht die Verfassung eine Wiedervereinigung mit dem Norden vor, in dem zu dieser Zeit die katholische Minderheit zusehend von den Protestanten politisch und wirtschaftlich benachteiligt wird.

Ende der 50er Jahre scheint es zu einer gewissen Entspannung der Lage zu kommen. Hauptsächlich aufgrund eines globalen, wirtschaftlichen Strukturwandels, von dem auch die nordirische Wirtschaft betroffen wird, gibt es erste Versuche, die gesellschaftlichen Barrieren abzubauen. Diese Tendenzen werden noch durch die Ernennung des liberalen Unionisten O'Neill zum nordirischen Premier im Jahre 1963 und dem Wahlsieg der Labour-Partei in Großbritannien im Jahre 1964 verstärkt. Es scheint Bewegung in die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen zu kommen.
Aber der Schein trügt. Hinter O'Neill stehen nach wie vor die traditionellen Unionisten und die bestehenden protestantischen Mehrheitsverhältnisse. Um diese zu sichern, werden sogar die einzelnen Wahlkreise neu zugeschnitten (gerrymandering). Zwar wächst der Anteil von Katholiken in höheren und gehobenen Positionen, aber dies ist wohl eher einem strategischen Denken als einer wirklichen Umbesinnung zu verdanken.

Der tragische Bürgerkrieg beginnt schließlich 1968. Aus einer friedlichen Demonstration einer katholischen Bürgerrechtsbewegung eskaliert die Gewalt: vor laufenden Fernsehkameras greifen die Polizei von Ulster und paramilitärische Schlägertrupps die Demonstranten an. Im selben Zeitraum verstärkt auch die Religion erneut den Konflikt: dem presbyterianischen Geistlichen Ian Paisley gelingt es, immer mehr Anhänger zu gewinnen. Er verlangt eine Rückbesinnung auf die alten calvinistischen Werte des 16. und 17. Jahrhunderts und verteufelt die katholische Kirche als Inkarnation des Antichristen. Daher fordert er auch die Politik auf, jegliche Zusammenarbeit mit den Katholiken abzubrechen.

Als vermummte Unionisten 1969 zunächt in Londonderry bald aber auch in Belfast katholische Wohnviertel angreifen -ohne daß die vorwiegend protestantische Polizei reagiert-, muß London aktiv werden.
Im August 1969 schickt die britische Regierung 6000 britische Soldaten nach Ulster, um für "Ruhe und Ordnung" zu sorgen. Diese sind allerdings mit der besonderen in Nordirland vorherrschenden Situation in keinster Weise vertraut und auch nicht auf das kommende vorbereitet. Die Gewalt eskaliert endgültig, als am 30. Januar 1972, der als Bloody Sunday in die irischen Annalen eingehen wird, britische Fallschirmjäger 14 unbewaffnete Teilnehmer einer verbotenen katholischen Bürgerrechts-Demonstration erschiessen.

Daraufhin geben sich Terror und Gegenterror Hand in Hand. Die unter dem irischen Staatspräsidenten de Valera verbotene Terrororganisation Irish Republican Army (IRA), welche sich 1919-21 im anglo-irischen Krieg gebildet hatte, beginnt ihre dritte Terrorwelle, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dauern soll.

Das erklärte Ziel der IRA ist der Schutz der katholischen Minderheit, die Vertreibung der Briten und die Wiedervereinigung. Ihre Methode ist der Terror.

Noch 1972 gibt es in Großbritannien, das sich doch zu gerne als eines der Mutterländer der Demokratie feiert, ein Klassenwahlrecht. Nur der darf wählen, der ein eigenes Haus oder zumindest eine eigene Wohnung sein eigen nennen kann. Die katholische, verarmte Minderheit wird hierdurch eindeutig benachteiligt.
Wer hingegegen eine Fabrik oder ein Geschäft besitzt -dies sind vorwiegend die Protestanten- dem stehen mehrere Stimmen zu.

Am 1. April 1972 hebt die Northern Ireland Temporary Provisions Act die seit 1921 bestehende Selbstverwaltung Nordirlands wieder auf. Am selben Tag nimmt der britische Nordirlandminister William Whitelaw seine Arbeit auf. Er hofft, in Gesprächen mit den verfeindeten Gruppen eine Grundlage für einen gegenseitigen Dialog schaffen zu können.
Es bleibt beim Versuch: als Whitelaw am 9. Juli 1972 zugibt, bereits mit führenden IRA-Funktionären Gespräche geführt zu haben, reagieren die radikalen Unionisten mit ungezügelter Gewalt gegen die katholische Minderheit. Die Reaktion der IRA läßt nicht lange auf sich warten: am 21. Juli zündet sie gleichzeitig mehr als 20 Bomben in ganz Belfast, die 11 Menschenleben und 130 zum Teil Schwerverletzte fordern.

Auch die protestantische Seite zeigt sich in der Wahl ihrer Mittel nicht zurüchhaltender: paramilitärische Verbände wie die Ulster Volunteer Force (UVF) oder die Ulster Freedom Fighters bilden sich und antworten nicht selten auch im Verbund mit der protestantischen nordirischen Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC) und der britischen Armee mit brutalem Gegenterror.
Die ca. 1,5 Mio. Bewohner der Region Ulster sind im Verhältnis 2:3 in zwei Lager gespaltet: die einen nennen sich Republikaner oder Nationalisten und sind vorwiegend katholisch, die anderen sind die Loyalisten oder Unionisten und mehrheitlich protestantisch. Aber die Religion spielt in diesem sich fortwährend aufschaukelnden Konflikt eine immer kleinere Rolle: meist geht es nur noch "um politische Macht und Ohnmacht". Die Loyalität der einen Seite gehört England und der Queen, die Loyalität der anderen dem Taoiseach, dem Häuptling, wie der irische Premierminister auf Gälisch heist.

Was die britische Regierung verharmlosend als Troubles bezeichnet, ist ein blutiger Krieg, dem bis zum vorläufigen Ende allein in Nordirland fast 3000 Menschen zum Opfer fallen.

1973 vereinbaren Großbritannien und Irland die Einrichtung eines gesamtirischen Rates, zur Lösung der Spannungen, ohne weiteren Erfolg. 1980 treten im Belfaster Maze-Gefängnis, damals spricht man noch von einem Kriegsgefangenenlager, IRA-Häftlinge in den Hungerstreik. Sie fordern ihre Anerkennung als politische Häftlinge. Mehrere der Aktivisten sterben. Erst im Oktober 1981 wird der Hungerstreik beendet, ihre Hauptforderung konnten die Häftlinge nicht durchsetzen.

Trotz der Bildung eines Nordirland-Rates 1983 geht der Terror weiter: In der Nacht vom 11. zum 12. Oktober 1984 explodiert im Grand Hotel in Brighton eine Bombe. Zu diesem Zeitpunkt halten dort die britischen Konservativen unter ihnen Premierministerin Margret Thatcher einen Parteitag ab. Es gibt mehrere Tote und Verletzte.
Die kommenden Jahre sind geprägt von Unruhen, Anschlägen und Streiks. Alle Gesprächsansätze scheitern. Erst 1994 verkündet die IRA einen einseitigen Waffenstillstand, die Protestanten schließen sich an. 1996 kündigt die IRA ihren Waffenstillstand aber erneut auf, die britische Regierung bricht daraufhin alle Gespräche und Verhandlungen mit der Sinn Féin, dem politischen Arm der IRA ab.

Unter Federführung des amerikanischen Präsidenten Clinton kommt es in den Jahren 1998-2000 letztendlich zu einem offiziellen Friedensabkommen, welches auch eine Entmilitarisierung der Untergrund-Organisationen vorsieht.

Es bleibt zu hoffen, daß die Vernunft siegen, der hauchdünne, zerbrechliche Status Quo des friedlichen Miteinanders Bestand haben und sich stärken wird. Es wäre schön, wenn beide Parteien die in den vergangenen Jahrhunderten begangenen Fehler ruhen lassen und zu einem neuen Miteinander finden würden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

 
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